
Es ist schon erstaunlich. Ausgerechnet die in Gesetz und Recht trainierte Anwaltschaft hält diverse Kandidaten bereit, die pandemiebedingte Einschränkungen als nicht auf sie anwendbar erachten. Man meint wohl über den Dingen zu schweben – gefährdet ist doch nur der Pöbel. Mentale Widerstandsfähigkeit der anderen Art.
Sicher, im großzügigen Einzelbüro infiziert man sich nicht so schnell wie kellnernd in einer Bar. Selbstverständlich schleppt man sich denn auch mit Schnupfen weiter in die Kanzlei. Hat man schon immer gemacht. Man ist ja sehr wichtig. Systemrelevant ohnehin. Für die Systeme anderer Personen ist die Bar zwar wichtiger, aber das will wieder keiner hören. Dass der schniefende Anwalt auch früher schon sämtlichen Kollegen die Erkältung weitergereicht hat, interessiert jedenfalls nicht. Außerdem ist das doch kein Corona, nur ein bisschen Husten. Stellt euch nicht so an. Irgendwer muss die Kohle ja scheffeln. Vielleicht hat der Pharmarecht-Kollege auch Trump-mäßigen Zugriff auf unerprobte Medikamente. Man traut ihnen alles zu.
In der Mittagspause wie gehabt zu sechst essen gehen. War da was mit Kontaktbeschränkungen? Nur 5 Personen? Ach, die eine Person mehr wird schon nicht so schlimm sein. Bußgelder könnte man sich locker leisten. Das große Geschäftsessen sollte aber besser doch bei den Kollegen im Niedriginzidenzbezirk abgehalten werden. Kein Problem, reisen einfach alle aus den Risikogebieten an. Währenddessen bangen Minijobber und Aushilfen in Einzelhandel und Gastronomie um ihren Lebensunterhalt. Gefahr des zweiten Lockdowns. Ganz zu schweigen vom Ansteckungspotential. Aber Hauptsache, der Anwalt hat noch schnell seinen unrunden Geburtstag mit 50 Gästen gefeiert – hey, war da alles noch erlaubt und man hatte die Gästeliste ja nun wirklich schon deutlich zusammengestrichen. Von uns hat doch sowieso niemand das Virus.
Aus dem eigenen Leben hat sich ein Risikofaktor ganz freiwillig eliminiert. Das ist die pandemiepositive Sichtweise. In Wirklichkeit natürlich schade ob dieser Art der Kontaktbeschränkung. Um es in anwaltsverständliche Worte zu kleiden: Gegebenenfalls war die Konkurrenz zu stark, möglicherweise war die Differenz in Konzepten und finanzieller Ausstattung zu groß. Diskussionen sind nicht zielführend. Gespräche abgebrochen. Pens down.