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Grammatikalische Detailversessenheit wird von Juristen spätestens im Referendariat verinnerlicht. Wehe, wenn ein Teil des Urteils nicht im korrekten Tempus geschrieben ist. Schlimmer noch: Den Konjunktiv bei indirekter Rede außer Acht lassen. Wobei sprachliche Korrektheit im Grunde schon im Studium beim Training des alles entscheidenden Gutachtenstils eingeimpft wird. Dennoch bleiben Unsicherheiten: Ist der Korrektor sprachlich ausreichend gebildet, um zu wissen, dass der Obersatz besser im Indikativ steht und doch nicht den Konjunktiv II erfordert? Man fällt lieber nicht noch einmal wegen grammatikalischer Fehler durch eine Klausur. Dies ist natürlich überspitzt. Berücksichtigt nicht den Einzelfall. Solch Ungenauigkeiten darf sich die Juristin eigentlich nicht erlauben. Auch wenn der durchschnittliche Mandant großzügig denkt bzw. den Unterschied zwischen „könnte sein“ und „ist“ nicht versteht. Dieses kleinliche Detail rutscht schnell durchs Netz und juristische Aussagen passt der Mandant nach Belieben dem eigenen Weltbild an. So muss der Anwalt durch ständige Wiederholungen mit doppelten und dreifachen Hinweisen sicherstellen, dass sein Wort nicht im Kopf der Mandantschaft verschwurbelt wird. Schuld ist er natürlich am Ende trotzdem, sobald die angemahnten negativen Effekte eintreten. Es gilt wieder einen Boten zu erschießen.

An dieser Stelle muss nun der leidige Gutachtenstil auch einmal gelobt werden. Hat er sich verdient. Diese zusätzliche Bürde der ohnehin schon harten Juristenausbildung. Betrachten wir den Sinn und Zweck: Strukturiertes Denken wird bis zum Exzess geübt. Problem, Lösungsmöglichkeit, Subsumtion, Ergebnis. Irgendwann passiert das nur noch im Kopf. Tada! Da haben wir ihn, den analytischen Menschen. Danach darf man sich an den Urteilsstil wagen: Das vorangestellte Ergebnis begründen. So einfach, so komplex. Schwierig vor allem, wenn der Mandant zunächst nur das Ergebnis hören möchte, auf das „Nein, geht nicht“ aber doch das klassische „Warum?“ folgt. Der Jurist versucht komplexe Zusammenhänge sodann in einfachen Worten zu erklären. Natürlich wird er durch neben der Sache liegende Einwürfe und kreative Rechtstheorien des Mandanten immer wieder hinterfragt. „Gechallenged“ sozusagen. Das darf dezent frustrieren. Als Konsequenz also wieder den langen rechtlichen Vermerk schreiben. Ausführliche Darlegung der Sach- und Rechtslage. Er wird selbstverständlich nicht gelesen. Oder schnell wieder vergessen. Vor allem, wenn das Ergebnis unbequem ist. Wenn das Ergebnis genehm ist, verschiebt sich das Vergessen auf einen anderen Teil der Begutachtung: Sachverhalt. Man wird ja wohl noch ein bisschen links und rechts von der Tatsachengrundlage abweichen dürfen. Das kann sich ja nun wirklich nicht rechtlich auswirken. Ist doch nur minimal. Es gilt hier alternative Fakten zu schaffen.

Somit besteht eine grundlegende Divergenz im Wahrnehmungshorizont. Dies betrifft nicht nur die Verschiebung von der Möglichkeitsform zur Wirklichkeitsform. Die oft erklärten Definitionen juristischer Begriffe werden vom Laien nonchalant übergangen. Ebenso die Unterschiede in der Judikative. Zivilprozess oder Strafverfahren – ist schließlich beides vor Gericht, nicht wahr? Gleichermaßen werden die Rollen der handelnden Personen in der Rechtspflege verkannt. Da wird der nette Polizist im Ermittlungsverfahren zum Vertrauten des Beschuldigten – man hat sich ja nichts Unrechtes vorzuwerfen. Oder der Insolvenzverwalter wird vom Geschäftsführer als best buddy gesehen – er rettet ja den armen Mitarbeitern die Gehälter. Diese Naivität ist so putzig wie gefährlich. Man mag es dem Nichtjuristen verdenken, in ungewohnten rechtlichen Stresssituationen eine Schulter zum Anlehnen zu suchen. Irritierend ist jedoch die fehlende Einsicht, wer auf welcher Seite steht. In der Not wird Vertrauen aus gemeinsamen Hobbies geschöpft. Detaillierte Analysen der Akteure vernachlässigt. Frühere Warnungen vergessen. Das Spiel nicht durchschaut. Der Anwalt wäre der bessere Freund. Es gilt aber Freundschaft nicht zu erkaufen.

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